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Geschrieben von Andrea R. am 10.09.2019
Weit weg von der üblichen Sportler-Nabelschau
Imke Frodermann und Ralph Lang sind leidenschaftliche Radfahrer. Im Alltag und in der Freizeit. Und Extremradler, wie sie während der zwei Jahre währenden Weltreise bewiesen haben. Sie froren im marokkanischen Atlas und in den Bergen Armeniens. Beim Lesen in der geheizten Wohnung schmunzelt man über den Katalog des Frierens. Es reicht vom langsamen von der Kälte Durchdrungenwerden, dem so genannten „Einfrieren“ über verschiedene Varianten zum „Schockfrieren“, wenn die Kälte sie wie eine Schraubzwinge um die Brust erwischt. Andernorts war die Hitze schier übermächtig. In Iran und Uzbekistan etwa. „Ab 12 Uhr tat es weh, überhaupt nur in der Sonne zu stehen“. Dass diese Tour die beiden 1970 und 1974 geborenen Theologen aufs Äußerste gefordert hat, wird beim Lesen manchmal geradezu körperlich spürbar. Das Spannende an diesem ungewöhnlichen Reisebuch ist aber, das der Fokus nicht auf der sportlichen Leistung liegt (übrigens bewältigte das Ehepaar in 18 Ländern 22.074 km und, was angesichts der schwer bepackten Räder noch unvorstellbarer ist, 162.128 Höhenmeter) sondern auf den Begegnungen mit den Menschen, ihren temporären „Nachbarn“. Meist einfachen Menschen, die das Wenige, was sie besitzen, zu teilen bereit waren. Dabei erleben die Radler die Welt nicht als fotogene Idylle. Ganz im Gegenteil. Besonders rührte mich bei Lesen die Begegnung in der Weihnachtszeit mit den „Plastiktütenhirten“ in den eisigen Bergen Marokkos. Beklemmend sind die Eindrücke im vom China besetzten Osttibet, die Schilderung der grausamen Geschichte Myanmars, aber auch Ralphs knappes Tagebuch seiner lebensbedrohlichen Erkrankung an Dengue Fieber in Thailand, die zu einer Änderung der geplanten Reiseroute zwang. Wie Monate zuvor schon die Weigerung Turkmenistans, ein Transit-Visum zu erteilen. Berührend, wie sich die beiden am Ende der Reise in Westaustraliens Outback mit einem alten Einsiedler anfreunden. Einer ihrer persönlichen Höhepunkte war der Besuch der Kerala-Bhakar-Schule in der indischen Wüste Thar. Seit Jahren unterstützen Schülerinnen und Schüler der Biberacher Gebhard-Müller-Schule dieses Projekt, damit dort Kinder zur Schule gehen können, statt im Steinbruch schuften zu müssen. Übrigens bietet dieses 256 Seiten starke Buch neben seinen ebenso nachdenklich stimmenden wie humorvollen Episoden auch handfeste Reiseinformationen und nicht zuletzt wunderbare Fotos.
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